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Historie

HistorieWenn man die „Geschichte“ des Stadtteils Millingen im Sinne einer bürgerschaftlichen Gemeinschaft betrachtet, muss man nicht nur vom früheren Ortsteil Rheinberg-Bauerschaft, der vormaligen Millinger und Rheinberger Heide, sondern auch von der früheren Gemeinde Millingen und teilweise auch von Huck, Drüpt, Saalhoff und Alpsray sprechen. Die Bewohner dieser Wohnplätze sind auf vielfältige Weise mit der Geschichte und dem Leben des Stadtteils Millingen verbunden. Das Wort Geschichte ist oben in Gänsefüßchen gesetzt, weil hier einerseits die Wiege der Rheinberger Ortsgeschichte ist, man aber andererseits mangels Masse kaum von einer eigenständigen Geschichte reden kann.

Am Anfang waren die Toten! Vor etwa 2500 bis 3000 Jahren begruben die keltischen und germanischen Nomaden ihre Toten in Brandgräbern auf dem Vittenberg, einer Düne. Hier ruhten sie sicher vor Hochwasser, Eisgängen und Rheinverlagerungen bis ins 20. Jahrhundert. Die Urnen sind ausgegraben und einige von ihnen sind mit den Knochen unserer Vorfahren noch im Foyer des Stadthauses zu sehen.

Die hochgelegene und unfruchtbare Heide, zwischen Saalhoffer-, Römer- und Keltenstraße sowie Heydecker und Alpschen Ley blieb bis in die Neuzeit hinein unbesiedelt. Das gleiche gilt für die südliche gelegene Rheinberger Heide, deren nördlicher Teil dem heutigen Stadtteil zuzurechnen ist.

Beim Bau der Heerstraße von Köln nach Xanten, die ja noch als Römerstraße in der alten Führung besteht, kam etwas mehr Leben in die einsame Gegend. Wachttürme auf dem Annaberg, an der Heydeckerstraße (Kur-Turm von kuren = ausspähen) und vermutlich auch auf dem Vittenberg begleiteten die Straße.

Trepitia (Drüpt) wird als kleine Ortschaft genannt. Möglicherweise sind schon damals Anwesen entlang des Flüsschens Löth oder Luth (heute Drüpt’sche Ley), also im Osten des Stadtteils entstanden. Zu nennen sind Tichelers-Hof, Vittenhof (beide abgerissen) und der Sonderfelds-Hof (Passmann) an der Rheinberger Heide. Auch in dem bis 1975 zu Alpen gehörigen Ortsteil Millingen dürfte es schon in römischer Zeit einige „villae rusticae“, mindestens aber seit dem Mittelalter Höfe gegeben haben. Denn die Ansiedlung wird schon 1241 als „Minlingen juxta Alpheym“ erwähnt. Ihre Entstehung verdanken sie sicherlich der Nähe des Flusses und der Römerstraße. Im Gegensatz dazu blieb die westliche Seite entlang der Heydecker und Alpschen Ley mit ihren Brüchen (Mooren) bis in die jüngere Zeit hinein unbesiedelt, wenn man von dem 1301 erstmals erwähnten Rittersitz „Eyll in der Heiden“ (Haus Heydeck) absieht.

Das Gebiet vom Annaberg im Süden bis Huck im Norden und von der Römerstraße im Osten bis zur Heydecker/Alpschen Ley im Westen blieb also bis zum 17./18. Jahrhundert von jeder Bebauung frei. Die von Wind-Dünen (man erkennt sie an der sanft ansteigenden West- und steil abfallenden Ost-Seite) durchsetzte Hochfläche (das „Hoch“ ist natürlich niederrheinisch zu verstehen) bestand durchweg aus (fliegendem) Sand und gab lediglich der Besenheide, den anspruchslosen Birken und verkrüppelten Eichen Nahrung zum Gedeihen. Außer dem Kur-Turm stand zu Beginn des 17. Jahrhunderts wohl nur ein weiteres „Bauwerk“ in der leeren Heide. Es war die städtische Richtstätte, der Galgen, den die Bürger der Stadt vom Xantener Feld auf den Vittenberg (deshalb auch Galgenberg genannt) verpflanzt hatten. Daran erinnert ein Gedicht von Hein Hoppmann:

Die Bedingung.

Hier inne Gägend vör lange Johre,
geplagt die brave Menße woore
van enne Strolch, dän ongehendert
de ärme Lüj häd ütgeplöndert.

Lang sinn se achter öm hergeweß,
mär wie dat bej de Pollezei so ös,
se kreegen on kreegen öm einfach nit,
doch ennes Dags, et wördne ok Tid,
hadde se öm endlech aan’t Schlawittje
on satte vörärs öm in’t Kittje.

Dumols ös dat noch so geweß,
du mieke se met sowat kötte Prozess,
door woor et Urteil gau gefonde:
Necks wie fott met son Vagabonde.

Wie hei gehange wodde sall
Woor märges frugg de Plätz all voll.
Dat liet sech kenn Menß entgohn
Bös de Henker sin Werk gedohn.

Hei hadd de Schleng all öm den Hals gelagg,
koom ennen Bote on riep: Halt! Wach!
Bewährung häd et Gerech beschloote.

Man koß des Räuber loope loote
Onder een Bedingung, on die hitt:
Wenn hei traude Böltjes Grit,
on met öhr sech bätere well.

Door stohnen des Lüj all stomm on stell,
Gespannt op dat, wat jetz well koom,
on dochte, dat hei die Juffer nohm.

Mär wie hei sech die Grit betrach,
häd hei üt volle Hals gelach
on riep: Dat kann ek nit geloowe,
öm Gottes Well, treckd mej noor boowe.

Eigentümer der Heide, wie aller Wild- und Oedländereien, war der Landesherr, der Kurfürst zu Köln, der sie aber nur gelegentlich zur Jagd aufsuchte. So kam es, dass dieses karge Land mit der Zeit zur Allmende wurde, an der die Stadt Rheinberg und die Anrainer gewisse Nutzungsrechte, wie Weidegang (Hude), Plaggenhieb, Heidehieb (Besen) und die Sand- oder Lehmausbeute bekamen. Die Städter wurden durch die große Entfernung an einer intensiven Nutzung gehindert. Sie ließen lediglich nur ihre Schafe dort weiden und holten sich Sand und Lehm nach Bedarf (Sandberg, Tichelers Hof (Ziegelbäcker), städtische Lei(h)mgrube an der Heydecker Straße). Die Anrainer aus Huck, Millingen, von Haus Heydeck nützten die Heide intensiver. Sie ließen ihr Vieh (Schafe, Pferde, Kühe) weiden, trieben die Schweine im Herbst zur Eichelmast, schlugen Reiser und Heide für Besen, bauten mit den Soden Plaggenhütten usw. Da das so über Jahrhunderte ging, bildete sich bei den Anliegern ein Art Besitzdenken aus, das zu den späteren Streitigkeiten und zu fast zwei Jahrhunderte dauernden Prozessen führte. Etwa Mitte des 17. Jahrhunderts begann die nach bösen Kriegszeiten total verarmte Stadt Rheinberg die Heide zu verwerten, indem sie an den Heiderändern Flächen parzellierte, verpachtete oder in Erbpacht vergab. Etwa von 1640 an entstanden so Katstellen an der Römer- und Keltenstraße (Fröhlingskath, Stoffelskath, Kuhnekath, Futenkath und Kallekath) sowie am Ende der Saalhofferstraße, dem Grabe- und dem Bruckmannshof-Weg. 1644 klagten die Quartiere Huck und Millingen sowie Fräulein von Langen vom Sonderfeldhof gegen diese Landnahme, verloren aber den ca. 40 Jahre dauernden Prozess. Auf der westlichen Seite wurde Degenhardt von Eyll von Haus Heydeck mit einigen Grundstücken abgefunden. Von dieser Zeit an setzten sich die Aufteilung der Heide und die Einsprüche der Anrainer dagegen laufend fort. Erst 1860 beendete ein abschließendes Urteil die Streitereien. Es würde zu weit führen, das ganze Hin und Her und Hick und Hack zu schildern. Jedenfalls war um diese Zeit (1820 bis 1860) das große Kernstück der Heide parzelliert, vergeben und verkauft, wobei auch Huck und Millingen Teile erhielten. Drüpt, Saalhoff und Alpsray waren 1798 zu Gemeinden geworden. Nur die auf dem Gebiet der Stadt Rheinberg gelegene Heide bekam diesen Status nicht, weil sie aus weit auseinanderliegenden Anwesen rings um die Stadt herum, von Haus Kassel im Südosten über die Minkeldonk, den Annaberg, das Xantener Feld (an der „Rose“) bis zur Millinger Heide vor Alpen, bestand.

Nachdem der Streit ausgestanden und die Grundstücke verteilt waren, wuchs die Bevölkerung der Heide schnell und überflügelte die der Gemeinden Millingen und Huck beträchtlich, in denen die Besitzverhältnisse seit Jahrhunderten festlagen. Mit der 1869/70 errichteten Schule und der Wirschaft Weber/Gödden bildete sich auch ein kleiner Zentralpunkt, der die Bauerschaft zur bürgerschaftlichen Mitte eines größeren Bereichs machte, zu dem Millingen und Teile von Huck, Saalhoff und Alpsray zuzurechnen waren. Nach der Besiedlung setzte auch sehr schnell, wenn auch auf eine recht dubiose Weise, der zweite Siedlungsschritt ein. Nach etwa 20 – 30 Jahren waren die Anwesen der Neusiedler für den Umfang ihrer Landwirtschaft zu klein oder zu schlecht geworden. Es musste neu gebaut oder erweitert werden. Geld war rar, aber es gab ja die Feuerversicherung. Und so brannten von 1875 bis 1903 in der Heide mehr als 30 Kleinbauernhöfe oder Kotten „auf“, doch niemals konnte Brandstiftung nachgewiesen werden. Da funktionierte wohl eine Art Gemeinschaftssinn! Am 30.11.1896 schreibt die Rheinberger Zeitung: „Am Freitag hat es mal wieder in der Heide, oder wie der Volksmund sagt, in „Neubrandenburg“ gebrannt. … bei der Aachener-Münchener versichert. Neuversicherungen werden von ihr in dieser Gegend nicht mehr abgeschlossen.“

Bei manchen brannte es gleich zwei oder drei Mal. Den Rekord hielt die Wirtschaft Weber, die 1878, 1879,1879,1896 und 1900 brannte. Um 1900 war wohl die Umbauphase abgeschlossen, und die Zahl der Brände pendelte sich auf ein normales Maß ein. Mit der Eisenbahn kam 1904 die neue Zeit und ein neues Problem. Der Bahnhof Rheinberg-Bauerschaft bekam den Namen „Millingen“ und der ohnehin unpopuläre Begriff „II. Bauerschaft“ verschwand vollends aus dem Sprachgebrauch. Dies allerdings mit der kuriosen Folge, dass nun zwei verschiedene kommunale Gebilde gleichen Namens nebeneinander lagen. Die weitere Entwicklung des Bereichs war ruhig. Er blieb bäuerlich ausgerichtet, wenn auch einige Häuser, vorwiegend von Arbeitern der Solvay-Werke hinzukamen. Die wegen ihres dürftigen Bodens verbliebenen Oedlandflächen, vorwiegend am Vittenberg (in den zwanziger Jahren wurde dort eine Pferde-Rennbahn betrieben) erinnerten bis 1950-55 an den alten Zustand der Heide. Dann etablierte sich dort ein Kalksandsteinwerk, das den ganzen Berg in Steine verwandelte. 1932/33 ist ein Ereignis zu vermelden, das die vorgenannte Behauptung vom größeren bürgerschaftlichen Bereich bestätigt. Die Einwohner der Bauerschaft und der umliegenden Gemeinden Millingen (ganz), Huck, Drüpt, Saalhoff und Alpsray (alle teilweise) errichteten unter der Federführung des Kriegervereins Millingen (Bauerschaft) an der Saalhofferstraße das noch stehende gemeinsame Ehrenmal. An der Mittelaufbringung und den Arbeiten beteiligten sich 17 Vereine. Bei der Einweihung am 30.07.1933 fehlten aus verständlichen zeitbedingten Gründen nur die katholische Geistlichkeit und die St. Udalrikus-Bruderschaft.

Im 2. Weltkrieg richteten Brandbomben große Schäden an, 12 Anwesen brannten ganz oder teilweise ab. In den letzten Tagen des Krieges wurde Millingen für wenige Tage auch zum Schauplatz des Kampfes um den Brückenkopf Wesel.

Nach diesem Krieg änderte sich der Charakter des Stadtteils. Er wurde zu einem großen Kleinsiedlungs- und Wohnbereich. Die Zahl der Einwohner wuchs auf über 2000 und mehr und mehr siedelten sich auch Geschäfte und Betriebe wie das vorgenannte Steinwerk und vor allem die bedeutende Stahlbaufirma Aumund an. Und als 1.1.1975 der überfällige Gebietstausch mit Alpen rechtens wurde. Verschwand auch das Problem der verschiedenen Namensvettern. Aus Rheinberg-Millingen und Alpen-Millingen erwuchs endgültig der Rheinberger „Stadtteil Millingen“.

Quelle: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Bürgerschützenverein 1863 Millingen e.V. | Heinz Janssen

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